Die brave Tochter wird erwachsen

Die brave Tochter wird erwachsen

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Worum geht´s?

Bei einem Mittagessen mit einem Freund fand ich mich in einer tiefgründigen Diskussion wieder, die mich nicht mehr losließ. Wir sprachen über ein Phänomen, das mir als systemische Beraterin oft begegnet: Viele Frauen, mit denen ich spreche, unabhängig von ihrem Alter, sind auf der Suche nach sich selbst. Sie beginnen oft erst dann, sich zu fragen, was sie wirklich wollen, wenn grundlegende Bedürfnisse wie finanzielle Sicherheit, Familie, beruflicher Erfolg, Partnerschaft etc. erfüllt sind. Plötzlich stehen sie da, am Scheideweg ihres Lebens, und fragen sich: „Soll das alles sein?“ Im Gespräch empfahl mir mein guter Freund das Buch „Das Brave-Tochter-Syndrom“. Kurz entschlossen bestellte ich das Buch, begierig darauf, mehr zu erfahren und vielleicht auch ein Stück weit mich und meine eigene Geschichte zu reflektieren. Jedoch soll es hier in diesem Artikel natürlich nicht nur um mich gehen, sondern ich möchte vielmehr auch andere zur Reflexion anregen. 

In meiner Arbeit treffe ich vorwiegend auf Frauen, die sich obige Frage stellen, jedoch muss es sich nicht nur um brave Mädchen handeln, sondern das „Brave-Tochter-Syndrom“ kann gewiss auch auf andere Geschlechter übertragen werden. Grundsätzlich bin ich eine Freundin davon, kein spezielles Geschlecht hervorzuheben. In diesem Fall kenne ich mehr Frauen als Männer, die bestimmte Phänomene hervorbringen oder teilweise darunter sogar leiden. Sollte es Männern ähnlich gehen oder Männer sich ähnliche Fragen stellen, freue ich mich über Nachrichten mit einer solchen Perspektive.

Was will ich eigentlich wirklich?

Ich kann mich leider nicht mehr erinnern, wie der Startpunkt des Gespräches verlief. Vor allem drehte es sich darum, dass Frauen oftmals nicht zu sich selbst, ihren Fähigkeiten, Kompetenzen und Bedürfnissen stehen können.

Ich erzählte, dass ich über meine Tätigkeit als Systemische Beraterin immer wieder mit Frauen ins Gespräch komme, die aktuell auf der Suche nach sich selbst sind. Ganz gleich welchen Alters, ob Ende 30, Ende 40, Anfang oder Mitte 50 sie stellen sich erst spät, wenn sie schon zahlreiche Schritte auf ihrem beruflichen Weg gegangen sind, die Frage, was sie wirklich wollen. Häufig ist dies erst möglich, wenn es den Frauen so gut geht, dass ihre Grundbedürfnisse gestillt sind und darauf die Frage folgt: „Soll das alles sein?“, „Was möchte ich wirklich tun?“ oder „Ich suche nach einer Tätigkeit mit mehr Sinn, in der ich mir selbst treu bleiben kann.“

Mein ehemaliger Kollege und inzwischen liebgewonnener Freund erwähnte das Buch „Das Brave-Tochter-Syndrom“. Ich fühlte mich davon angezogen und bestellte es.

„Ich will doch nur, dass es Dir gut geht!“

Meine Mama neigt dazu, uns „Gutes“ zu tun, in dem sie ganz vorzüglich kocht und uns immer wieder mit Herscharen von Köstlichkeiten und Süßigkeiten beglückt. Das ist sehr liebevoll (gemeint). Jedoch geht dies nicht selten über unser Bedürfnis hinaus. Oftmals haben wir keinen Hunger mehr und lehnen ab. (Mit dem „Wir“ sind meine Schwester und ich gemeint) Meiner Schwester fällt dieses etwas leichter als mir. Mir wiederum nicht.

Nachdem ich das Buch oben zu lesen begann, wurde es mir in einer meiner frühmorgendlichen Routinen der Espresso-Reflexion klar. Auch ich scheine eine solche brave Tochter zu sein oder zumindest noch Anteile von dieser in mir zu tragen. Gerade in Bezug auf unsere Mutter neige ich dazu, liebgemeinte Unterstützung anzunehmen, obwohl mir gar nicht nach dieser ist. Ich vermute, dass es mit dem Phänomen zusammenhängt, dass ich sie ja schließlich nicht enttäuschen kann.

„Lass mir doch als Deine Mutti eine Freude machen. Ich meine es doch nur gut.“

Na, wer von Euch kennt diese Sätze?

Die gute Absicht

Mir ist dabei wichtig zu erwähnen, die Loyalität meiner Familie gegenüber zu wahren. Heute als erwachsener Mensch und zudem ausgebildete Systemikerin kann ich anerkennen, dass jede:r aus bestem Wissen und Gewissen und aus der eigenen Perspektive heraus mit guter Absicht gehandelt und die Erziehung geprägt hat. Wären meine Eltern nicht so wie sie sind und waren, wäre ich heute vielleicht nicht so wie ich bin und sein werde. Auch wenn es als Kind und Jugendliche nicht immer leicht war. Wie sagte unsere Achtsamkeitstrainerin „Es ist so wie es ist…“. Gerade das Ablösen vom Elternhaus, eigene Werte, Muster und Verhaltensweisen zu entwickeln, gehört für mich zum Erwachsenwerden dazu und ist vielleicht der wichtigste Prozess unseres Lebens. Zum Ablösen gehört für mich die Akzeptanz der unabänderlichen Vergangenheit, das Leben im Hier und Jetzt und das bewusste Gestalten der eigenen Zukunft und damit des eigenen Glückes dazu.

In einem Gespräch mit der Cousine meiner Mama vor kurzem wurde der Blick erneut auf das Thema gelegt. Dies wiederum hing auch damit zusammen, dass wir über das Buch und die brave Tochter sprachen, welches ich mit nach Hause gebracht habe. Wir sprachen über unser emotionales Erbe, über Verhaltensweisen, Regeln und Muster, die wir durch Erziehung und Sozialisation uns angeeignet haben.

Unser familiäres Erbe

Im Gespräch ist mir aufgefallen, ganz gleich, welche Frau man in dem Familienstrang unserer Mutter näher betrachtet, wir alle haben eine gutmütige, gebende Art in uns. Was es Positives mit sich bringt? Wir fügen uns gut ein, sind gut im Kontakt mit anderen Menschen und werden als herzlich, freundlich und sehr sozial wahrgenommen und geschätzt. Soziale Anerkennung ist die positive Wirkung des Verhaltens. Die Kehrseite der braven Tochter jedoch ist, dass bei all der Fürsorge für andere, man selbst ein wenig in Vergessenheit gerät.

Ich selbst bin damit aufgewachsen, dass Egoismus eine schlechte Eigenschaft sei. Jedoch gab es nie etwas dazwischen. In einer Welt, in der das Individuum häufig gestärkt wird oder beinahe wichtiger ist als das Kollektiv, wird es für die brave Tochter jedoch schwierig.

Wie können wir eigene Grenzen erkennen, diese im Kontakt mit anderen wahren, Bedürfnisse ansprechen und nach ihnen unser Leben ausrichten?

Sich selbst zu lieben lernen

Heute als erwachsene Frau ist genau das, also die gesunde Form des Narzissmus oder auch ein ausgewogener Egoismus der Schlüssel zu einem zufriedenen Leben im Einklang mit anderen. Meine These ist: Erst wenn wir uns ausreichend Liebe schenken, können wir auch wahre Liebe zurückgeben.

Das Buch „Das brave Tochter-Syndrom“ bestätigt dies und beschreibt, dass Frauen häufig geben, um eben Liebe und Anerkennung in Form von Dankbarkeit und Bindung zurückerhalten. Das mag kurzfristig vielleicht nach Glück ausschauen, führt mittel- und langfristig jedoch eher zur Abhängigkeit von der Bestätigung durch andere. Das Unglück ist vorprogrammiert.

Die brave Tochter wird erwachsen

Um auf das Glück anderer, insbesondere von Frauen einen kleinen Einfluss zu nehmen, Perspektivwechsel zu ermöglichen und von Erfahrungen anderer zu lernen, hatte ich das Leseprojekt „Das Brave Mädchen wird erwachsen“ in Anlehnung an das Buch „Das Brave-Tochter-Syndrom“ von Beate Scherrmann-Gerstetter zum Leben erweckt. Häufig ist es für viele Menschen in herausfordernden Lebenssituationen oder bei der Überwindung der Stolpersteine des Lebens gut zu wissen, dass sie nicht allein mit diesen dastehen. Leider ist das Projekt – vermutlich im Zuge der Pandemie – bei mir etwas in Vergessenheit geraten. 

Fragen zur Selbstreflexion

Dennoch möchte ich mit dem aktualisierten Blogartikel (die erste Version stammte bereits aus 2019) einen Impuls aussenden und meine Leser:innen zur Selbstreflexion einladen:

  • Wieviel „brave Tochter“ steckt aktuell (noch) in Dir?
  • Wann ist sie präsenter, wann weniger präsent? 
  • Wo – auf dem Weg – zur erwachsenen Frau befindest du Dich gerade? 

Stell Dir vor, du bist weiterhin rücksichtsvoll und im guten Kontakt mit anderen. Du lebst diese Werte, die gesellschaftliches Zusammenleben angenehm gestalten. Jedoch verhältst du Dich nicht mehr aufopfernd, überschreitest nicht mehr Deine eigenen Grenzen und richtest vor allem Dein Leben nach Deinen Bedürfnissen aus.

  • Wie klingt das für Dich? Glaub mir, du darfst das – du musst gar nichts. Niemand außer Dir selbst kann Dir das Leben bereiten, welches du Dir vorstellst.  
  • Was meinst du, braucht es noch, um den nächsten Schritt zu gehen? Wie kannst du Dich vom Alten verabschieden und neue Pfade, Deine eigenen, betreten und endlich „Dein Ding“ machen? Ganz gleich in welchem Deiner Lebensbereiche? 

Lust auf Veränderung?

Oftmals ist es gar nicht so leicht, Verhalten neu auszurichten. Gerade solches, welches wir in der frühen Kindheit als festes Programm etabliert haben. Unmöglich ist es jedoch nicht, ganz gleich, wie alt du bist und an welcher Stelle Deines Lebens du Dich aktuell aufhältst. Es lohnt sich immer zu prüfen, ob ein anderer Pfad Dich in Richtung eines zufriedeneren vielleicht sogar gelingenden Lebens führt. 

Hast du Interesse, darüber bei einem virtuellen Kaffee zu plaudern? Ich schenk Dir im Rahmen der Redezeit-Aktion 20min kostenfreie Redezeit. Alternativ kannst du jederzeit auch gern ein Beratungs- oder Coaching-Gespräch buchen, in dem wir Dein Wertesystem gemeinsam reflektieren und Deinen inneren Kompass neu ausrichten. Möchtest du Deine eigene Geschichte mit mir teilen und wünschst Unterstützung, schreibe mir gern eine Nachricht

*Version 1 des Artikels ist am 25. August 2019 erschienen*

Geschrieben von:

Sandra Brauer

Sandra Brauer, Diplom-Kauffrau (FH), Systemische Beraterin (DGSF-zertifiziert), Stressmanagement-Trainerin, Prozessbegleiterin in der digitalen Transformation, Lehrauftrag an der FOM Hochschule Hamburg; Gründerin des Systemischen Netzwerks, Autorin im Junfermann Verlag. Schwerpunkte: Coaching von Einzelpersonen und Teams, Vermittlung digitaler Kompetenzen weitere Websiten: https://systemischesnetzwerk.de

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2 KOMMENTARE

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Steffen

Booom! Eine kleiner Satz nebenbei und Frau Brauer macht wieder ein ganzes Thema auf 🙂
Sehr gut, weiter so!

    comments user
    Sandra Brauer

    Herzlichen Dank für Deine Inspiration, lieber Steffen. Solche Coffeedates mag ich am liebsten. Vor allem finde ich es großartig, dass du als Mann mir das Buch empfohlen hast. Liebe Grüße und bis bald, Sandra

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