Mama, Papa – legt doch mal das Handy weg!

Mama, Papa – legt doch mal das Handy weg!

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Leg doch mal das Handy weg!

Vor gar nicht allzu langer Zeit wurde ein kleiner Mann in Hamburg kurz berühmt: Emil, der den Appell an seine Eltern richtete: „Leg doch mal das Handy weg!“

Ich weiß nicht wie oft du im Alltag selbst beobachtet hast oder es aus Deinem eigenen Kosmos kennst: Elternteile, den Einkaufswagen vor sich herschiebend, auf das Smartphone schauend. Das Kind erkundet allein seine Umgebung, stellt neugierig Fragen. Leider ohne eine Antwort zu erhalten oder im besten Fall erhält es ein genervtes „WAS?“ als Antwort.

Menschlich. Haben wir doch alle viel zu tun. Und manchmal muss man halt noch fix etwas erledigen, recherchieren, sich informieren oder auch kommunizieren. Und seien wir doch mal ehrlich, manchmal freut man sich über Pausen von den Kleinen, oder?!

Wäre da nicht die kleine Sorge oder Vermutung, dass genau dieses Smartphone-Nutzungsverhalten im Beisein von Kindern vielleicht nicht ganz so gut ist.

Studienlage ist dazu aktuell noch überschaubar

Der digitale Strukturwandel beeinflusst unsere sozialen Beziehungen erheblich. Wir können weltweit, stets und ständig miteinander im Kontakt sein. Nicht nur das, Informationen stehen uns quasi permanent zur Verfügung und unsere technischen Helferlein unterstützen uns hervorragend im Wettlauf mit der Zeit.

Wie häufig beobachten wir bei uns selbst parallel mehrere Dinge zu tun, uns schnell ablenken zu lassen, von einer Priorität zur nächsten zu wechseln. „Technoference“ so definiert McDaniel die alltäglichen Unterbrechungen durch Technologie wie der laufende Blick aufs Handy. Es gibt aktuell nur wenig Studien, die untersuchen, welchen Einfluss eben diese Technoference auf Kinder im Säuglingsalter hat. Ein Aufsatz im Fachmagazin Obstetrica mehrerer Wissenschaftlerinnen der ZHAW Zürich lässt darauf hindeuten, dass ständiger Smartphone-Konsum der Eltern die Bindungsfähigkeit der Kinder beeinflusst. Da die Mimik bei Smartphone-Nutzung häufig erstarrt, falle es Säuglingen schwer, zu interagieren, Mimik und Verhalten abzuschauen und zu lernen.

In der Blikk Medienstudie gibt es erste Hinweise auf Sprachentwicklungsstörungen, motorische Hyperaktivität und  Konzentrationsstörung durch Mediennutzung (Fernsehen, Handy & Co). Es werden darin signifikante Zusammenhänge zwischen der mütterlichen digitalen Mediennutzung im Beisein des Säuglings und Fütter- und Einschlafstörungen des Kindes aufgezeigt. Die Zeit nach der Geburt ist entscheidend für den Aufbau einer Bindungsbeziehung. Das gegenseitige Kennenlernen sollte durch möglichst wenige Unterbrechungen gestört werden. Das richtige Erkennen der kindlichen Bedürfnisse und das prompte und adäquate Antworten darauf vermitteln dem Säugling ein Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit. Die Eltern werden von ihm als verlässlich erlebt. Diese Verlässlichkeit führt letztlich zu einer gelungenen El-tern-Kind-Beziehung und ist die Basis für den Aufbau einer sicheren Bindung

Es wird vermutet, dass häufige Unterbrechungen in der Eltern-Kind-Interaktion zu einer verspäteten Beantwortung kindlicher Signale führen und so den Bindungsaufbau erschweren.

In der BLIKK-Medienstudie heißt es dazu: „Wenn der Medienkonsum bei Kind oder Eltern auffallend hoch ist, stellen Kinder- und Jugendärzte weit überdurchschnittlich entsprechende Auffälligkeiten fest.“ So komme es zu Fütter- und Einschlafstörungen, wenn die Mutter digitale Medien während der Versorgung des Babys nutze – ein erster Hinweis auf eine Bindungsstörung.

In dem bereits oben erwähnten Fachartikel in der Obstetrica wird dazu auf die Still-Face-Studie von Trondick 1978 verwiesen. Im Rahmen der Studie damals wurden Mütter aufgefordert, plötzlich in ihrer Mimik zu erstarren und nicht mehr mit dem Säugling zu kommunizieren. Die meisten Säuglinge würden auf das starre Gesicht der Mutter höchst irritiert und verunsichert reagieren.

Sie fordern die Mutter durch körperliche Reaktion wie das Strampeln mit den Beinen, Wedeln mit den Armen oder durch Weinen auf, erneut auf sie zu reagieren. Das Kind ist dabei deutlich gestresst. Die «Still-Face-Aufgabe» zeigt auf, welche Bedeutung ein mütterlicher Rückzug aus der Interaktion für das Kind hat.

Ähnliche Reaktionen könne der ständige Blick aufs Smartphone auslösen. Säuglinge könnten resignieren, weil die Lebendigkeit der Mimik fehlt und permanent dem Smartphone zugerichtet ist.  Diese Hypothese bleibt jedoch noch tiefergehend wissenschaftlich zu erforschen.

Beobachtungen in Bezug auf die übermäßige Nutzung technischer Geräte

Es ist aktuell schwer abzuschätzen wie sich unser Umgang mit technischen Geräten langfristig auf uns Menschen auswirkt. Zu beobachtende Folgen sind aktuell nicht nur bei Kindern, sondern auch bei Erwachsenen mit übermäßiger Nutzung Konzentrationsstörungen. In Bezug auf Kinder vermuten Wissenschaftler Empathiemangel oder Defizite bei der Aufmerksamkeitsentwicklung.

Forscher empfehlen, den Fokus bei Aktivitäten zu behalten, um Konzentrationsstörungen zu vermeiden, digitale Nutzung kreativ zu gestalten und diese mit anderen Aktivitäten zu kombinieren, um geistige Entwicklung zu fördern.

Das Leibniz-Institut für Wissensmedien fand heraus, dass Eltern bei übermäßiger längerer Smartphone-Nutzung weniger feinfühlig auf ihre Kinder reagieren würden.

Dennoch nutzen die meisten Eltern das Smartphone in Gegenwart ihrer Kinder sehr reflektiert und konsumieren Inhalte, die wenig Konzentration benötigen. Kaum eine in der Studie beobachteten Mütter etwa spielte oder arbeitete, wie Befragungen zum Nutzerverhalten im Anschluss der Beobachtung zeigten. Wenn Mütter ihr Handy nutzten, dann um den Alltag zu organisieren, Fotos zu machen oder mit Freunden und Familie zu schreiben. Durch den Kontakt zu den Bekannten zeigten sich die Mütter der Studie sogar feinfühliger, als wenn das Smartphone für andere Tätigkeiten zur Hand genommen wurde. Das Smartphone bietet hier mitunter einen Zugang zu Unterstützung oder auch ein offenes Ohr.

Insbesondere Mütter haben in der Zeit nach der Geburt, die stark durch die Versorgung des Kindes geprägt ist und in der sich Mütter manchmal sozial isoliert fühlen, durch digitale Medien die Möglichkeit, Kontakt zu halten, sich auszutauschen oder Rat einzuholen. Gerade über das Smartphone vernetzt zu bleiben, kann dazu beitragen, eine emotionale Bindung zu Freunden aufrechtzuerhalten. Zudem können neue Technologien wie z. B. diverse Apps Informationen und Austausch mit anderen Eltern anbieten oder auch das Gesundheitsverhalten positiv beeinflussen.

Wie sich nun verhalten? 

Auch wenn die Studienlage derzeit noch überschaubar ist, empfiehlt es sich wachsam zu bleiben. Ich wäre die letzte, die den Ratschlag geben würde, gewisse Verhaltensweise komplett zu untersagen oder sogar zu verbieten. „Ratschläge sind auch Schläge“ ist eines meiner Mantren in der Beratung und im Coaching.

Durch meine Arbeit, vor allem durch das geschriebene Wort, möchte ich immer und immer wieder Kunden, Klienten und Lesern meiner Beiträge in Richtung ihrer Selbstwirksamkeit zu bewegen. So auch beim Thema „Digitale Balance“ und „Digitale Resilienz“. Mein persönliches Ziel des Artikels hier ist somit die Verbreitung aktueller Studienergebnisse. Ich möchte einen Beitrag dazu leisten, dass du Dein eigenes digitales Bewusstsein weiterentwickeln kannst. Gern verbunden mit einem Appell:

„Mach´ Dir bewusst wie du handelst und übernimm´ die Steuerung Deines Verhaltens und vielleicht sogar Deiner Gedanken. Immer mit dem Ziel, dass du Dein Wohlbefinden bewahrst oder du es sogar steigern kannst.“ Auch und gerade in Bezug auf die Nutzung technischer Geräte.

Wir leben in einer Welt, die sich rasant bewegt. Gerade in Bezug auf die Digitalisierung sind wir uns mancher benötigter Kompetenzen noch gar nicht bewusst. Je achtsamer wir mit unseren individuellen Ressourcen umgehen, desto gelassener können wir den digitalen Strukturwandel erleben.

Digitale Resilienz durch den Aufbau digitaler Kompetenzen und einer digitalen Achtsamkeit.

Somit bleib gut im Kontakt mit Dir und Deinem Umfeld. Jeder Mensch, ganz gleich ob Erwachsener oder Kind, reagiert anders. Wir alle haben individuelle Bedürfnisse und auch Grenzen. Frag Dich ab und an, ob Dir Dein Handeln – gerade in Bezug auf digitalen Konsum und Nutzung guttut. Bist du ein Elternteil trägst du hier eine Mitverantwortung für Dein vielleicht teilweise weniger erfahrenes Kind. Weise ihm den Weg durch Vorbildsein. Prüft gemeinsam, ob das Mediennutzungsverhalten Euch guttut. Prof. Böhm sprach im Kontext der Gestaltung unserer Arbeitswelt von „Digitalisierungsspielregeln“. Vielleicht könnt ihr diese innerhalb Eurer Familie gemeinsam entwickeln und dadurch die Digitalisierung unserer Welt bestmöglich nutzen.

Weiterführende Links

Presse, Fachmagazine

 

Geschrieben von:

Sandra Brauer

Sandra Brauer, Diplom-Kauffrau (FH), Systemische Beraterin (DGSF-zertifiziert), Stressmanagement-Trainerin, Prozessbegleiterin in der digitalen Transformation, Lehrauftrag an der FOM Hochschule Hamburg; Gründerin des Systemischen Netzwerks, Autorin im Junfermann Verlag. Schwerpunkte: Coaching von Einzelpersonen und Teams, Vermittlung digitaler Kompetenzen weitere Websiten: https://systemischesnetzwerk.de

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