Stolpersteine bei der Landeplatzsuche

Stolpersteine bei der Landeplatzsuche

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Kleine Story zum Thema „Bewerbung/Jobsuche“: vor ein paar Monaten hatte ich mich auf eine TZ-Stelle im Bereich Recruiting beworben. Ziele für mich waren:

  • nebenberuflich mal wieder ein wenig Bodennähe schnuppern
  • Stelle klang cool
  • Einkommen neben der Selbstständigkeit ein wenig mehr sichern

Ablauf einer gewöhnlichen Online-Bewerbung

  • Kurz angerufen, nett geplaudert
  • Online-Bewerbung versendet
  • Eingangsbestätigung kam sofort (das kann man in den Recruiting-Systemen wunderbar einstellen)
  • Sechs Wochen (!) später kam eine weitere E-Mail mit der Bitte um noch ein wenig Geduld. Na gut, dachte ich mir.
  • vor ein paar Tagen fiel mir ein, da war ja was. Das war die einzige Bewerbung, die ich verschickt habe, da ich ja grundsätzlich selbstständig arbeite. Und ich erinnerte mich grob daran, dass ich mich doch auf irgendwas mit eRecruiting beworben hatte. ich schaute in meine E-Mail-Kiste: inzwischen ist die „Bitte um Geduld-Mail“ zwei Monate her.

Das muss doch nicht sein, oder? Vor gar nicht allzu langer Zeit hab ich genau zu dem Thema einen Vortrag gehalten. Für die Zuhörer war es selbstverständlich, dass die Unternehmen eine wertschätzende (bzw. überhaupt eine…) Kommunikation zum Bewerber pflegen. Nach Gesprächen mit Kollegen und vor allem BewerberInnen in Coachings oder beim Bewerbungsstammtisch scheint jedoch die Nicht-Kommunikation eher der Standard zu sein. Wie schade! Vor allem möge man dann bitte nicht von Fachkräftemangel sprechen. Und welchen Eindruck hinterlässt das? Und das nicht nur bei mir, sondern auch bei allen Menschen, denen ich davon erzählen werde? Und der Ruf, der entsteht, überträgt sich eventuell ja sogar von schlechter Bewerbungskommunikation zum Ruf des Unternehmens insgesamt. Stichwort „Employer Branding“. Ich habe gestern in den sozialen Netzwerken (Twitter, Instagram, Facebook und Xing) meine Erfahrungen mit anderen geteilt. Die Rückmeldungen hinterlassen bei mir ein wenig Sprachlosigkeit. Ganz leise hatte ich gehofft, dass sich Menschen melden werden, die mich dafür rügen, so eine „Ausnahmesituation“ zu beschreiben und der Standard ein anderer sei. Ich fürchte aufgrund der Kommentierungen, dass auf dem Job- und Bewerbungsmarkt der Standard in der Kommunikation leider eher meiner Schilderung nahekommt.

Feedback des Bewerbers an das Unternehmen

Damit sich irgendetwas ändert, habe ich mir vor Jahren schon angewöhnt, Feedback an das Unternehmen zu adressieren und so auch gestern. Das ist doch das auf Augenhöhe kommunizieren, wovon alle immer sprechen, oder? Und zudem konstruktiv.
Ich wünsche mir, dass sich genau das verändert. Die Digitalisierung bietet so viele Möglichkeiten, Auswahlprozesse und digitale Kommunikation zu unterstützen. Solche Erlebnisse, Frustrationen und damit Ressourcenverschwendung sollten doch vermeidbar sein, oder nicht?

Standard-Text-Vorlage bei Nicht-Kommunikation

Wer möchte, darf sich des Standard-Textes hier gern bedienen:

Sehr geehrte Frau… / Sehr geehrter Herr….,
schade, dass ich seit [Zeitraum/Zeitpunkt eintragen] keine weitere Nachricht von Ihnen erhalten habe. Jede Bewerbung kostet Zeit und Mühe, zudem teile ich Ihnen sehr persönliche Daten von mir mit. Ein Update zum Auswahlprozess wäre nett und wertschätzend gewesen.
Ich wünsche Ihnen, dass Sie eine/ geeignete Kandidatin/Kandidaten gefunden haben und sende freundliche Grüße

Perspektivwechsel – die gute Absicht

Wer schon ein wenig länger auf meinen Kanälen mitliest, weiß, dass ich Dinge, Situationen und Menschen grundsätzlich versuche, im Kontext zu betrachten. Somit stelle ich mir auch in diesem Fall vor, was eine Nicht-Kommunikation bzw. eine nicht-wertschätzende Kommunikation in Bewerbungsprozessen möglich werden lässt. Meine Ideen dazu sind folgende

  • Ressourcenengpass im Bereich Personal: zu wenig Kapazitäten, die sich um Personalmanagement und -auswahl kümmern (können)
  • fehlende Kompetenzen bei der für Personal zuständigen Person: ich schreibe mit Absicht „für Personal zuständige“. In vielen vor allem kleinen und mittelständischen Unternehmen werden diese Aufgaben häufig von Geschäftsführungen, der Assistenz oder anderen mit übernommen. Zudem erfordert Personalauswahl, vor allem in digitalen Zeiten, eine große kommunikative Kompetenz. Jetzt mal Butter bei die Fische: Ist diese wirklich immer ausreichend vorhanden?
  • Prozesse im Unternehmen sind unklar, verbesserungsbedürftig: Stelle wird doch nicht besetzt, Auswahlprozess dauert doch länger als geplant, Stellenbedarf wird für nichtig erklärt. Ungünstig, passiert aber leider, ist nun mal nicht alles immer bis zum Schluss planbar. Von außen ist das jedoch nicht zu erkennen, auch hier hilft eine Nachricht mit aktuellen Informationen und Bitte um Verständnis.
  • Fluktuation, Wissenswegfall: so manche Ausnahmesituationen entstehen dadurch
  • neue Software wude eingeführt: Umgang damit wird aktuell noch erlernt
  • nur unzureichend in eRecruiting-Software und anderen Tools geschult
  • Unwissenheit/Unbedarftheit: sich der Außenwirkung der Kommunikation nicht bewusst sein. Der Bewerbungsprozess ähnelt sehr einem Beziehungsaufbau. Das Unternehmen bietet sich quasi durch die Stellenanzeige an. Der Bewerber/Die Bewerberin geht darauf interessiert ein und geht mit einem Vorschuss von Vertrauen und Offenbarung von Informationen (wie gewünscht bzw. gefordert) in den Kennenlernprozess. Somit ist ein zartes Pflänzchen bereits vorhanden. Wird dieses nun nicht gehegt und gepflegt (Beziehungen pflegt man im allgemeinen mit Handlungen oder Sprache), geht es ein. Der Ort wird nicht in guter Erinnerung bleiben und es wird sich einen anderen zum Wachsen suchen. Schade vor allem für diejenigen Unternehmen, die aktuell nach Fachpersonal suchen.

So sehr ich mich versuche anzustrengen, es fällt mir in diesem Fall sehr schwer, gute Gründe zu finden, die die beschriebene oder von zahlreichen anderen erlebte Kommunikation oder eben Nicht-Kommunikation im Bewerbungsprozess zu erklären. Sollte Dir, liebe/r Leser/in, noch einer einfallen, freue ich mich über einen Kommentar. Vor allem und sehr gern nehme ich auch Nachrichten von „für Personal Zuständigen“ in Empfang, um zu verstehen, was genau verbessert werden müsste, damit mehr Zufriedenheit auf dem Bewerbermarkt herrscht. Ich kann mir vorstellen, dass es hier eine Menge Potenzial zur Verbesserung gibt. Potenzial, dass Stellenbesetzung leichter möglich macht und bei allen Beteiligten zu mehr Zufriedenheit führt, oder nicht?

Geschrieben von:

Sandra Brauer

Sandra Brauer, Diplom-Kauffrau (FH), Systemische Beraterin (DGSF-zertifiziert), Stressmanagement-Trainerin, Prozessbegleiterin in der digitalen Transformation, Lehrauftrag an der FOM Hochschule Hamburg; Gründerin des Systemischen Netzwerks, Autorin im Junfermann Verlag. Schwerpunkte: Coaching von Einzelpersonen und Teams, Vermittlung digitaler Kompetenzen weitere Websiten: https://systemischesnetzwerk.de

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2 KOMMENTARE

comments user
Monica

Liebe Sandra,
Leider höre ich auch wieder und wieder aus meinem Freundes- und Bekanntenkreis genau die von dir beschriebene Nicht-Kommunikation (auch wenn ja „nicht kommunizieren“ nicht gibt). Es ist schade, wo wir mit unserem Denken und Streben nach mehr Umsatz hingekommen sind. So viele Menschen haben Jobs für 1,5 Menschen zu tätigen und so viele möchten gerne wechseln.

    comments user
    Sandra Brauer

    Hallo liebe Monica,
    tatsächlich höre ich das auch immer und immer wieder und finde das ebenso sehr betrüblich. Ich würde mir wünschen, dass sich dieses ändert. Zudem fänd ich es toll, wenn man einmal mehr auf die Menschen mit den sogenannten „bunten“ Lebensläufen schaut und die Perlen dahinter erkennt.
    Sorry, dass ich erst jetzt auf den Kommentar geantwortet habe. Ich freue mich immer sehr, wenn jemand mitliest und die eigenen Perspektive hier einbringt.
    Liebe Grüße
    Sandra

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